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Alan Ayckbourn:
Woman in Mind

Kommentar:

“Woman in Mind” (Untertitel: "December Bee") ist ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Theaterform, die man bei Alan Ayckbourn als "comedy of pain" bezeichnet hat. Die meisten seiner frühen Stücke hatten viele komische Bestanteile und geradezu absurden Witz, boten aber schon immer viel Anlaß zur Nachdenklichkeit. Hatte Ayckbourn schon vor Jahren seine Komödien wie folgt definiert: "Comedy is a tragedy that is interrupted at the right moment", so ist es jetzt mit “Woman in Mind” einen Schritt weiter in Richtung Tragödie gegangen, einen Schritt, der sich bereits in seinem Stück “Just Between Ourselves” ankündigte. (Treue Besucher der Aufführungen der Englischen Theatergruppe werden sich sicher an dieses im Jahr 1988 hier aufgeführte Stück erinnern.)

Zwar enthält “Woman in Mind” noch durchaus komische Elemente, doch sind sie stark von Sarkasmus geprägt und nehmen im Laufe der Handlung deutlich ab. Dies bedeutet nicht, daß Ayckbourn inzwischen eine pessimistischere Sichtweise angenommen hätte, er geht nur den eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende.

Mit der Hautperson Susan hat er eine Figur geschaffen, die sich in ihrer Vielschichtigkeit mit anderen bedeutenden Frauengestalten der Theaterliteratur messen kann. In dieser 'Tragicomedy' sind die aristotelischen Grundforderungen an eine Tragödie deutlich zu erkennen: wir fühlen Mitleid ('pity') mit der Frau, die als Ehefrau und Mutter ausgedient hat und deren Leben ziel- und wertlos im banalen Alltag versickert, wir fürchten ('fear') um ihre Gesundheit und geistige Integrität, weil sie aus der Frustration, aus der Enttäuschung und Unerfülltheit im Umgang mit den Menschen, denen sie vorübergehend wichtig und nützlich war (Ehemann und Sohn), zunehmend verletzlich und instabil geworden ist. Wir sehen mit Schrecken ('terror'), wohin eine solche Behandlung durch die Mitmenschen führt: in die Isolation, in den Bewußtseins- und Realitätsverlust.

Aber “Woman in Mind” ist nicht nur deswegen tragisch, weil Susan am Ende untergeht. Sie hat auch jenen "flaw", jenen Fehler in ihrer Persönlichkeit, der immer Auslöser für das Scheitern des tragischen Helden ist: Sie opfert sich ganz der Familie auf, sie hat kein Ohr für die Ratschläge anderer:

I used to be a wife. I used to be a mother. And I loved it. People said, "Oh don't you long to get out and do a proper job?" And I'd say, "No, thanks, this is a proper job, thank you. Mind your own business."

Sie widmet sich mit ganzer Kraft und Energie ihrem Sohn, erdrückt ihn mit ihrer Fürsorge, versucht, sein Liebesleben zu "managen", sucht die mütterliche Freundin und Beraterin seiner Freundinnen zu sein und trägt damit letztendlich auch dazu bei, ihn aus dem Haus, in die anonyme "Geborgenheit" seiner Sekte zu treiben.

“Woman in Mind” ist die Geschichte einer Frau, die mehr gibt als sie zurückbekommt, die scheitert, weil sie sich selbst bedingungslos in das Leben ihrer Familie eingebracht hat mit all ihren Wunsch-vorstellungen, so daß – als sie sieht, wie sich Wunschbild und Realität zunehmend von einander entfernen – sie keine Kraft mehr hat, ein eigenes Leben zu führen.

Ayckbourn spricht in diesem Stück eine Reihe von Problemen unserer Zeit an:
Wie sehen die Hilflosigkeit moderner Menschen, denen keine Werte zur Festigung ihres Lebensbildes zur Verfügung stehen: der Pfarrer Gerald redet ständig in Zitaten, in abgedroschenen Phrasen und aufgesetzter Rhetorik, hat die Kirche in eine Art modernes Antiquariat verwandelt, die Schwägerin Muriel sucht Halt in spiritistischem Firlefanz, der Sohn Rick flieht in eine Art Trappistensekte.

In Susan erleben wir die Tragik einer Frau, die sich im Alltag der Familie verzehrt und fremdbestimmt weiterlebt, die den Zeitpunkt verpaßt hat, eine Grundlage für ihr eigenes Leben zu schaffen. Susan erkennt ihre Hilflosigkeit, als sie in dem Moment, als sie sich der Liebe ihres Traum-Ehemanns hingibt, ausruft: "Oh, God, I'm making love with the Devil." Zerrissen zwischen Realität und Phantasie, zwischen Gott und dem Teufel, flieht sie hilf- und orientierungslos in die Arme des Teufels. Auf ihrer vergeblichen Suche nach dem Licht verliert sich Susan in der Finsternis der geistigen Umnachtung.

Mit dieser eindrucksvollen Studie seiner weiblichen Hauptfigur Susan braucht Ayckbourn nicht den Vergleich mit anderen großen Autoren dieses Jahrhunderts zu scheuen, weil er imstande ist, wie z.B. Tennessee Williams, die Tiefen seiner weiblichen Hauptperson ebenso nuancenreich wie psychologisch einfühlsam auszuloten.

(Wolf-Werner Pickhardt)

 

 

 

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