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Alan Ayckbourn
Woman in Mind

Aus dem Programmblatt der Aufführung 1992

Der Titel "Woman in Mind" besagt – wie der Verlauf zeigen wird -, daß sich die ganze Handlung in Susans Bewußtsein abspielt, d.h. daß sie von Susans subjektivem, nicht immer realitätsgenauen Standpunkt gesehen wird: die Zuschauer hören nur das, was Susan hört, sie sehen nur das, was Susan sieht.

Akt I:

Susan ist bei der Gartenarbeit auf eine Harke getreten und hat durch den Schlag an den Kopf das Bewußtsein verloren. Als sie erwacht, ist Dr. Windsor bei ihr und versucht, ihr zu erklären, was passiert ist und daß er einen Krankenwagen bestellt hat. Susan hat zunächst aufgrund ihrer Benommenheit Schwierigkeiten, Bill Windsor zu verstehen. Als Bill geht, um ihr eine Tasse Tee zu holen, kommt Susans (Wunsch-)Familie, um nach ihr zu sehen: ihr Mann Andy, ihr Bruder Tony und ihre Tochter Lucy. Sie ziehen sich wieder zurück, als Bill zurückkehrt; er stellt fest, daß Susan sich nicht an Einzelheiten ihres realen Lebens erinnert. Dieses wird immer wieder von ihrer Traumwelt verdrängt.

Als Susans realer Ehemann, Reverend Gerald Gannet, auftritt, wird klar, worunter Susan wirklich leidet, nämlich unter der unerträglichen Selbstgefälligkeit ihres Mannes, unter der Abgestumpftheit der ehelichen Beziehung, unter der Tyrannei ihrer Schwägerin Muriel und unter der Entfremdung ihres Sohnes Rick. Ihr Mann hat sie seit Jahren vernachlässigt, um in seiner Freizeit an einem 60-seitigen Buch über die Geschichte seines Pfarrbezirks zu schreiben ("since 1386"). Ihre Schwägerin Muriel, die mit ihrer "Kochkunst" ("Earl Grey tea omelettes") sogar den Arzt Bill Windsor in die Flucht schlägt, nervt sie seit Jahren mit ihren all-abendlichen Versuchen, mit ihrem verstorbenen Mann Harry Kontakt aufzunehmen. Ihr Sohn Rick hat sich seit zwei Jahren in eine Sekte geflüchtet, die ihm verbietet, mit seinen Eltern zu sprechen.

Aus diesem Frust und der Leere ihres Alltags ist ihr Sehnen nach Geborgenheit und Erfüllung entstanden, und ihr Bewußtsein führt uns ihren Wunsch nach einer Idealfamilie in Reinheit vor: hier ist sie die perfekte Ehefrau, vorbildliche Mutter, liebende Schwester und, wie Tochter Lucy voller Stolz berichtet, Großbritanniens führende Romanautorin. Aber Susans Glücksgefühl wird abrupt durch Ricks Rückkehr gestört: sie kollabiert bei der Begegnung mit der Realität.

Akt II:

Rick erzählt seiner Mutter, daß er sich von der Sekte getrennt hat, daß er inzwischen geheiratet hat und gekommen ist, um seine Abreise nach Thailand vorzubereiten, wo er mit seiner Frau Tess arbeiten möchte, sie als Krankenschwester ("trained nurse"), er als Gelegenheitsarbeiter ("odd-job-man"). Susan ist ob so vieler Neuigkeiten betroffen und gerät mit ihrem Mann Gerald in Streit, der ihr die Schuld an der ganzen Entwicklung gibt.

Susan sieht zwar die Notwendigkeit, der Realität zu begegnen und versucht, die irreale Familie aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen, aber auch mit Hilfe von Bill Windsor gelingt es ihr nicht, die Halluzinationen zu vertreiben. Im Gegenteil, Bill Windsor wird ebenfalls Teil ihrer Traumwelt, der sie nach und nach ganz verfällt: sie "betrügt" ihren Ehemann Gerald mit ihrem Wunsch-Mann Andy und kollabiert erneut. Sie weiß nicht mehr, was sie tut: sie entzündet ein Feuer in Geralds Arbeitszimmer, schreibt eine "Botschaft" des verstorbenen Harry an Muriels Zimmerdecke und wünscht sich eine Hochzeit für ihre Tochter Lucy, die aber ihren Einwirkungsmöglichkeiten entgleitet und zum Alptraum für sie wird: Realität, Traum, geheime Wünsche, traumatische Erinnerungen, Bruchstücke ihrer Vergangenheit mischen sich immer mehr: Susan Gannet zerbricht am Leben und entfremdet sich von sich selbst.


(Wolf-Werner Pickhardt)

 

 

 

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