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Alan Ayckbourn:
Man Of The Moment

Kommentar:

In seinem 1988 uraufgeführten Stück “Man of the Moment” zeigt sich Alan Ayckbourn wieder als der Autor, der die Exzesse des Zeitgeistes zwar witzig, aber nichtsdestoweniger engagiert anprangert. In “Man of the Moment” widmet er sich dem Medium Fernsehen und seinen Auswüchsen: den flachen Talkshows und dem, was auch bei uns als "Reality TV" bekannt geworden ist. Er zeigt, daß es den Fernsehmachern weniger darauf ankommt zu informieren oder schlicht zu unterhalten, als vielmehr einzig und allein um Einschaltquoten, um Erfolg um jeden Preis. Zu diesem Zweck werden Menschenschicksale in Nahaufnahme gezeigt, spektakuläre Ereignisse nachgestellt und als Wirklichkeit verkauft, wobei es nur um den vordergründigen Effekt geht und die primitiven Instinkte des Menschen (Sensationsgier) angesprochen werden.

Die TV-Journalistin wünscht sich im Grunde nichts lieber, als daß die eine ihrer Hauptpersonen, Douglas, in einem Gefühlsgemisch von Frust, Neid und Rache über die andere, seinen Gastgeber Vic, herfiele. Als Douglas Gefühle von Neid auf Vics Erfolg treuherzig von sich weist, fragt sie ihn voll provozierender Ironie: "So have no feelings at all about this place, Mr Beechey? Like you appear not to have feelings about anything very much?" Und als er – nachdenklich geworden – sagt, die Existenz des Bösen ('evil') löse heftige Gefühle in ihm aus, sagt Jill lediglich: "That's it? Just evil?". Ihr kommt es nur auf die mögliche Konfrontation an, bei der sie ihr Filmteam bitten würde, den Kamera-Zoom möglichst weit auszufahren. Wie uns die tägliche Fernsehwirklichkeit belegt, übertreibt Ayckbourn in der Darstellung der Journalistin nicht einmal. Er stellt Jill lediglich als Heuchlerin dar, indem er sie sagen läßt: "I know some people love to have the camera linger over people crying and obviously in great distress, but I'm sorry, I find that gratuitous and tasteless." Doch sie möchte genau diesen Effekt erzielen: Emotionen provozieren, die sie dann im close-up einfangen würde. (Jill zu Douglas: "You don't feel it's wrong that he [Vic] should have something like this and you don't?") Zu diesem Zweck – so läßt uns Ayckbourn am Ende von Akt I ahnen – würde sie auch über Leichen gehen.

In diesem satirischen Stück zeigt uns der Autor, daß Fernsehen nicht unbedingt die Wirklichkeit abbilden will, sondern daß wir als Zuschauer oft etwas vorgegaukelt bekommen. Er zeigt, was Fernseh-Machen ist: Inszenieren statt Informieren, Quoten statt Qualität, Schein statt Sein. Selbst der Medienstar Vic hat dies offenbar erkannt, als er zu Douglas sagt: "This is television. It's all fiction, son. All fiction."

Ayckbourns Anliegen ist es, die traditionellen Werte, die jede menschliche Gesellschaft tragen, wieder ins rechte Licht zu rücken. Dies gelingt ihm mit der an sich simplen Gegenüberstellung von 'Gut' und 'Böse''. Doch wird dieses (in vielen Theaterstücken und Filmen erprobte) Konstellationscliché von ihm sublimiert: Vic Parks ist sicherlich der 'Böse' (bezeichnenderweise hat er seinen ersten Auftritt beim Stichwort 'evil'); ein rücksichtsloser Macho, ein tyrannischer Mensch, der auf den Gefühlen seiner Mitmenschen herumtrampelt; jemand, der durch die Medien vom Verbrecher zum Star hochstilisiert wurde (es kommt offenbar für die Öffentlichkeit nicht darauf an, wie ein Mann ist, sondern wie er wirkt!). Jedoch zeigt Ayckbourn ihn andererseits auch als liebevollen Vater, der sich in seiner Freizeit mit Hingabe seinen Kindern widmet.

Douglas Beechey verkörpert das 'Gute', ist jedoch alles andere als eine tugendhafte Idealfigur. Er hat vieles mit 'Helden' aus früheren Ayckbourn-Stücken gemeinsam: er hat den unbeholfenen Charme eines Dennis aus "Just Between Ourselves", die 'Softie'-Qualitäten eines Andy aus “Woman in Mind", die 'Loser'-Züge eines Bernard aus “Season's Greetings”, aber er ist dennoch ein eigenständiger Charakter, der zwar auch wieder diese unglaubliche Naivität vieler männlicher Ayckbourn-Helden mit sich bringt, der aber trotzdem durch seine positive Energie, seine zupackende Art, seinen elementaren Optimismus, seine intuitive Einfühlsamkeit und seinen Gerechtigkeitssinn eigene Individualität besitzt. Mit seiner naiven Leichtgläubigkeit und seinem ständigen Ja-Sagen zu allen Wechselfällen des Lebens einerseits und mit seiner Begeisterungsfähigkeit und seiner menschlichen Anständigkeit andererseits ist er alles andere als vollkommen, wird aber gerade dadurch für den Zuschauer zur Sympathiefigur, welche die von Ayckbourn dargestellten Wertvorstellungen auf natürliche Weise vertritt und diese damit für den Zuschauer als selbstverständlich erscheinen läßt.

Mit “Man of the Moment” karikiert Ayckbourn die Vorgehensweise der Fernseh-schaffenden, die uns mit Pseudo-Interviews, Scheinrealität und nachgestellter Wirklichkeit als Quotenlieferanten einzufangen suchen, die Täter zu (Serien-)Helden machen und Opfer zu Sensationslustobjekten degradieren; damit fordert er uns als Zuschauer auf, kritische Distanz zu diesem Medium zu wahren, das unser Tun und Denken, unsere Gespräche und unsere Ansichten in zunehmendem Maße beeinflusst.

(Wolf-Werner Pickhardt)

 

 

 

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