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Alan Ayckbourn:
How The Other Half Loves

Kommentar:

"Wieder ein Ayckbourn-Stück?"

Diese Frage habe ich mehrfach gehört, wenn sich Kolleg(inn)en oder auch ehe­malige Mitspieler(innen) im Laufe der letzten Monate nach meinen diesjährigen Aufführungsplänen erkundigten.

Die Wahl eines Stückes von Alan Ayckbourn kommt nicht aus Bequemlichkeit oder Ideen­losigkeit zustande. Sie ist in diesem Jahr gefallen, weil alle Stücke, die ich auf ihre schulische Aufführungstauglichkeit hin gelesen habe, durchs Sieb gefallen sind: Entweder waren sie zu banal bzw. zu ober­flächlich, oder sie waren nur für eine zu kleine Zahl von Mitwirkenden (oft nur drei) gedacht, oder sie waren – bezüglich der Verteilung der Geschlechter – so besetzt, dass ihre Umsetzung an der Schulrealität vorbeiging (z.B. 9 männ­liche, 1 weibliche Rolle). Dabei muss man wissen, dass sich – warum auch immer – in der Mehrzahl Schülerinnen der Oberstufe fürs Theaterspielen zu interessieren scheinen (Beim ersten Treffen im September hatten sich 20 Schülerinnen und 1 [in Worten: ein] Schüler eingefunden! Man finde mal ein Stück für eine solche Besetzung!).

Daher blieb fast kein anderer Ausweg als "zurück zu Ayckbourn", der in der Schule gut realisierbar ist und – auch in seinen frühen Komödien wie dieser – nie auf das platte Niveau reiner Boulevardstücke "abrutscht".

"How The Other Half Loves" ist keine dieser 'comedies of pain', eines dieser fast tragischen Stücke, die Ayckbourn häufig in den letzten Jahren verfasst hat. Das Stück scheint eher eine der leichten Komödien zu sein, die mehr auf die reine Unterhaltung der Zuschauer abzielen. Aber Ayckbourn wäre nicht ein solch erfolgreicher Autor, wenn sich seine Stücke nicht durch irgendeine Besonderheit von ähnlich anmutenden Stücken unterscheiden würden.

Das Besondere an "How The Other Half Loves" ist die Bühne: Zwei Handlungen finden gleichzeitig statt. Dies ist zwar zunächst nichts Neues, aber die beiden Zimmer sind hier so angelegt, dass sich ihre Bereiche überlappen, die Personen aneinander vorbeigehen, ohne sich zu begegnen.

Dazu kommt dann die Gleichzeitigkeit zweier zeitlich verschiedener Handlungen. Wie es Ayckbourn gelingt, das Donnerstag- und Freitagabendessen der Featherstones in zwei verschiedenen Wohnzimmern gleichzeitig zu präsentieren, ist schon eine geniale Idee! Die Bühne in diesem Stück ist fast so etwas wie eine siebte Person, hat ein englischer Kritiker nach der Erstaufführung gesagt.

Ich möchte dem noch eine achte Person hinzufügen. Wie z.B. in seinem Stück "Absurd Person Singular" zwei Gäste (Dick und Lotty Potter) beteiligt sind, die wir nie zu Gesicht bekommen, so ist in "How The Other Half Loves" der Sohn der Phillips, Benjamin, die Person, die zwar nicht erscheint, die aber in ihren Verhaltens­weisen die nervliche Verfassung der Eltern Bob und Teresa stark beeinflusst. Wenn wir hören, dass Benjamin im Begriff ist, Löffel zu verschlucken, Hand an alles legt, dessen er habhaft werden kann, mithilft, Teresas Suppe zu "würzen" mit allem, was er in die Finger bekommt, in unbe­wachten Momenten die Erdnuss-Butter mit dem Löffel verzehrt und sie sich dabei durchs Gesicht streicht, das Pflaumensirup über seinen Kopf gießt — und, und, und ..., dann ist er im Hintergrund die Person, die (vor allem) Teresas Leben in dramatischer Weise beeinflusst und die Fäden hält, an denen die Erwachsenen oft hilflos zappeln.

Natürlich findet es der Zuschauer witzig, sich ein solches strapaziöses, nervendes, chaotisches, windelbeschmutzendes kleines Ungeheuer vorzustellen, aber jeder, der im wirklichen Leben das Heranwachsen eines Kleinkindes mit all den kleinen Malheurs und Beinah-Katastrophen erlebt hat, weiß, wie oft die komische Seite solcher Erlebnisse einer gehörigen Portion an häuslicher Dramatik weicht und welchen Stress eine nur-Hausfrau-und-Mutter oft durchlebt.

Ayckbourn lässt solche Gefühle zwar anklingen (Teresa!), hält aber für uns Zuschauer den Abstand groß genug, so dass wir uns von der komischen Seite einfangen lassen, — wie Eltern, die nach Jahren amüsiert auf die kleinen Alltagskatastrophen ihrer Sprösslinge zurückblicken.

Darum auch dieses Jahr "wieder ein Ayckbourn-Stück"!

Wolf-Werner Pickhardt, 1998 

 

 

 

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