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Ben Elton:
Popcorn

Kommentar:

Der Autor Ben Elton (Jahrgang 1959) ist zwar in Deutschland bislang nur wenig bekannt, aber in England gehört er seit Jahren zur Theater- und Literaturszene: als Schauspieler hat er z.B. in Kenneth Branaghs Verfilmung von Shakespeares "Much Ado About Nothing" mitgewirkt, er hat Bestseller-Romane veröffentlicht ("This Other Eden", "Popcorn", "Blast from the Past"), er hat fürs Fernsehen (z.B. "Black Adder") und fürs Theater geschrieben ("Gasping", "Silly Cow" und "Popcorn").

Das Theaterstück Popcorn ist ein Schocker - sowohl sprachlich als auch inhaltlich: es behandelt in eindringlicher und dabei doch ernst zu nehmender Weise das Thema "Gewalt" in den Medien. Als ich den Schülern das Stück zum Lesen und zur Beurteilung gab, war die Thematik sicherlich allen bekannt, aber niemand von uns wusste zu dem Zeitpunkt, wie aktuell sie im Laufe des Jahres werden sollte:

Der brutale Überfall auf eine Schule in Littleton, Colorado, bei dem zwei Jungen 12 Mitschüler und eine Lehrkraft töteten und über den die Medien ausführlich berichtet hatten, schien Vorbild für den kaltblütigen Mord an einer Lehrerin in Meißen zu sein. Lehrerverbände versuchten daraufhin vergeblich, den Start des amerikanischen Films "Killing Mrs Tingle" wegen der Ähnlichkeit der Umstände zu verhindern.

Im Juli 1999 berichteten die Medien über die Verurteilung von zwei Jugendlichen, die nach mehrmaligem Ansehen des Horrorfilms "Scream" die Mutter des einen Täters hinterrücks und kaltblütig ermordeten.

Immer waren die Medien mit im Spiel - und die Diskussion über den 'copycat'-Effekt auf Grund von Filmen und Fernsehberichten wurde immer lautstärker geführt.

Natürlich hat es schon immer Irre, Psychopathen, gefühlskalte Menschen ohne Moralempfinden gegeben, aber noch nie haben sie auf Grund der globalen Medienvernetzung so viel Aufmerksamkeit bekommen, noch nie wurden solche psychisch kranken Menschen so sehr durch die Chance auf ein weltweites Echo stimuliert.

Wayne Hudsons Verhalten in Popcorn wird durch 3 Faktoren beeinflusst:

Zum einen durch seine Eifersucht auf andere Männer, die seine Freundin wollüstig ("with lust in their eyes") anzusehen wagen.

Zum anderen durch das Machtgefühl, das er bei seinen Taten empfindet: in Anlehnung an ein Statement von Ex-Außenminister Henry Kissinger über Macht als Aphrodisiakum sagt Wayne zu Scout: "Well, you ain't never going to get more power over a person than when you kill them, so killing is an aphrodisiac, too".

Schließlich durch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit: "It's media city out there", sagt er zu Bruce, als Sondereinheiten der Polizei das Haus umstellen und die Fernsehanstalten ihre Reporter vor Ort haben; oder kurze Zeit später: "Man, after you've made your broadcast, me and Scout here won't be no punk killers no more. We'll be hundred things, we'll be heroes to some, victims to others, we'll be monsters, we'll be saints. We will be the defining fuck'n image of a national debate."

Der Autor bietet hier keine simplen Lösungsversuche an, macht keine banalen Aussagen, er beschäftigt sich intensiv mit der Frage, die auch Bruce von seinen Interviewpartnern im Fernsehen gestellt wird: Ist die Gesellschaft heute so voller Gewalt wie man sagt und spiegeln die Filme - wie Bruce behauptet - nur die Realität wider, oder sind die Filme und die anderen Medien nicht eher Auslöser für Gewalttaten durch Nachahmungstäter?

In einem Interview im Mai 1997 sagt der Autor Ben Elton, zu Popcorn befragt: "My initial inspiration was very very clear: it was about responsibility." Als er während einer Australienreise über die Diskussion eines Verbots von Oliver Stones "Natural Born Killers" in England las, hatte er die albtraumhafte Vision einer Welt, in der Hollywood-Regisseure wegen Mordes im Gefängnis saßen, während die Mörder sich in Talkshows à la "Oprah" in ihrem Ruhm sonnten.

Als Autor sieht Elton in der möglichen Beschränkung von künstlerischen Ideen sicherlich die Gefahr der Bevormundung, der staatlichen Kontrolle mit all ihren Gefahren: "I do feel, at the bottom of it, that artistic freedom is, I think, an infinitely better safeguard for a healthy society than draconian censorship. [...] Artists are part of society and they have to consider their responsibilities to society and couch their actions accordingly". Daher sind, seiner Meinung nach, Künstler letztendlich nicht verantwortlich für das, was sie "verantwortungsbewusst" schaffen, aber es sei schwierig zu sagen, was "unverantwortliche Kunst" ist, dies könne eigentlich nur der Einzelne für sich entscheiden: "Hamlet's got the same number of killings in it as Pulp Fiction has, [...] but who's to say the difference between Hamlet and Pulp Fiction"? Soll man "Oedipus" verbieten, nur weil es ein Theaterstück ist, das Vatermord und Inzest zum Thema hat?

Andererseits zeigt er aber auch mit seinem Stück auf, welch verführerischen Einfluss die Medien auf den Einzelnen haben. Für sie, die Medien, zählt nur die Quote (der "ratings monitor" spielt für Wayne am Ende eine entscheidende Rolle), auf Grund der Quote scheint alles erlaubt, auch wenn dies einen labilen Menschen auf einen verheerenden Ego-Trip schicken kann. Er macht die Medien auch in dem zitierten Interview verantwortlich: "The big villain in all of this, frankly, is the media, looking for easy answers and sexy stories. They are playing with the culture".

Er weiß, dass Künstler sich leicht verführen oder ausbeuten lassen: "We are all exploitable". Er bezieht dies auf die Neigung von Künstlern, Dinge zu schaffen, die sich nicht mit dem von ihm beschworenen Verantwortungsgefühl vereinbaren lassen. Aber dies trifft m.E. auf uns alle zu, die wir nahezu unablässig dem Einfluss der Medien ausgesetzt sind: "Der Mensch im Zeitalter der medien-technischen Verführbarkeit" könnte man (in Abwandlung eines berühmten Aufsatzes von Walter Benjamin über die Kunst) sagen. Der Mensch ist grundsätzlich immer verführbar gewesen, aber die Möglichkeit von Einzelnen, im Mittelpunkt eines weltweiten Interesses zu stehen und der Wunsch der Übrigen, diese Menschen voyeurhaft zu betrachten sind Verlockungen, die das Leben von Menschen in unserer Zeit mehr und mehr zu bestimmen scheinen. Ich erinnere mich hier mit Schaudern an die "Medienshow" beim Gladbecker Geiseldrama, bei dem die Kameras immer hautnah dabei waren, die Geiselnehmer Interviews gaben und der stellvertretende Chefredakteur der Kölner Zeitung Express sogar zeitweilig im Wagen der Geiselnehmer mitgefahren ist.

Daher ist es wichtig, dass ein Autor der jungen Generation uns dieses Problem drastisch vor Augen führt und uns 'Zuschauer' zu Nachdenklichkeit und Besinnung zwingt. Und das ist möglicherweise nur mit einem "Schocker" machbar!

Wolf-Werner Pickhardt


Anmerkung: In unserer Aufführung von Popcorn ist Ben Eltons Theaterstück mit Details aus seinem gleichnamigen Roman ergänzt worden.

 

 

 

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